Ein Interview im Regen
Es ist dunkel und leichter Regen fällt auf unsere mit Jacken und Schals bedeckten Köpfe. Die Isar rauscht an uns vorbei und langsam werden auch die Stufen an der Wittelsbacherbrücke, auf denen wir sitzen, nasser. Es stört uns nicht. Viel zu vertieft sind Marina und ich in unser spontanes Interview, das wir in diesem Moment führen. Marina ist eine der vielen Menschen, die das Oktoberfest zu etwas Besonderen machen. Als Rikscha-Fahrerin hat sie einiges erlebt und verrät mir die ein oder andere lustige Geschichte aus ihren zwei Jahren auf drei Rädern.
Marina fährt Rikscha für’s Studium
Wie bist du eigentlich zum Rikscha fahren gekommen?
Meine damaligen Mitbewohner waren beide Rikscha-Fahrer und so bin ich dann dazu gekommen. Mit dem Job habe ich damals mein Studium finanziert.
Ich habe im Sommer angefangen und dann hauptsächlich Sightseeing-Touren in der Stadt und im Englischen Garten gemacht.
Hat dir deine Erfahrung geholfen, auf der Wiesn zu fahren oder wärst du auch einfach ins kalte Wasser gesprungen?
Nein, das war gut, dass ich davor schon mal mit „normalen“ Leuten unterwegs war. Rikscha fahren an sich ist schon anstrengend und auf der Wiesn ist es halt dazu noch psychisch belastend. Das kennst du ja selber, wie die Leute da sind. *Lachen*
Oh ja… Und wie lief es mit der Orientierung?
*Lacht* Als ich meine allererste Rikschafahrt hatte, habe ich mich gleich mal verfahren. Ich bin vor der Wiesn zum Beispiel auch alle typischen Strecken mit dem Radl abgefahren und hab mir die dann zusätzlich nochmal auf Maps angeschaut. Aber trotzdem passiert es schon mal, dass man sich verfährt oder einfach das Ziel der Fahrgäste gar nicht kennt. Da hilft dann auch nur Google Maps weiter!
Wie viele Stunden warst du auf der Wiesn so unterwegs? Hast du alle Tage durchgearbeitet?
Ich war mindestens so fünfzehn Stunden unterwegs am Tag. Aber ich habe nicht jeden Tag gearbeitet. Die erste Wiesn bin ich ca. acht Tage gefahren und bei der zweiten glaube ich zehn oder elf Tage.
Woran denkst du gerne aus dieser Zeit zurück?
Eine Fahrt zum Beispiel war superschön. Zwei nette Mädels (auch Studentinnen) wollten von der Wiesn zum Hauptbahnhof und hatten nicht mehr genügend Geld dabei. Ich habe sie dann aber trotzdem gefahren, weil sie so nett waren. Die waren sooo lieb! Es war schon ungefähr Mitte der Wiesn und ich war nicht mehr so motiviert und allgemein war es einfach ein blöder Tag mit vielen Idioten. Die beiden haben mich dann die ganze Zeit angefeuert, für mich gesungen und gerufen „Die beste Rikscha-Fahrerin!!!“. Alle um uns herum haben mitgemacht und mich angefeuert. Sowas motiviert dann natürlich total. Es gibt schon auch nette Gäste, die einen dann pushen und anspornen.
Aber es gibt auch andere Gäste, oder?
Ja, ich hatte zum Beispiel einmal einen sehr dicken, schnöseligen Mann, der sich die ganze Fahrt beschwert hat, dass ich zu langsam bin und zu Fuß gehen sogar schneller wäre. Das hätte ihm meiner Meinung nach auch nicht geschadet. *Lachen*
Wenn du so schwere Leute herumfährst, hast du da irgendeine technische Unterstützung? Hattest du eine Elektro-Rikscha?
Nein, das war alles pure Körperkraft. Aber das war auch immer meine Motivation. „Für den Oberschenkel, für den Oberschenkel!“ Aber bergauf war schon sehr anstrengend. Dann dachte ich mir immer „Hey, komm! Du wirst dafür bezahlt, dass du Sport machst…“
Ich stelle mir das alles sehr stressig vor. Vor allem wenn ich an das Gewusel denke, das immer auf den Straßen herrscht…
Du musst dir halt vorstellen, nachts – na ja auch tagsüber – sind immer so viele Menschen dort. Und du fährst da mit dieser Rikscha durch den Verkehr, hast die Besoffenen und andere Rikscha-Fahrer. Und gerade nachts um elf, wenn die Zelte schließen ist es einfach irre! Du fährst dann durch das Gewusel und schreist dauernd „Achtung“! Musik, Lärm, Taxis, Menschen…Einfach eine totale Reizüberflutung. Aber komischerweise hast du da nochmal so eine Energie, auch wenn du den ganzen Tag schon gefahren bist, weil du weißt, jetzt kannst du nochmal richtig Geld machen! Aber das schlimmste ist: Am nächsten Tag fängt das alles von vorne an.
Also man braucht schon ein dickes Fell, oder?
Ja, es ist auf jeden Fall eine psychische Belastung. Das Körperliche ist natürlich auch anstrengend aber das ganze Drumherum ist schlimmer. Es gibt aber auch nicht viele Frauen, die Rikscha fahren. Du wirst ständig angemacht und angetatscht und kannst dir bescheuerte Kommentare anhören. Also es ist nicht ohne.
Lohnt sich die ganze Anstrengung überhaupt?
Früher hat es sich auf jeden Fall gelohnt. Ob sich das die letzten Jahre nochmal verändert hat, weiß ich leider gar nicht. Auf jeden Fall konnte man den Verdienst (wenn man jeden Tag fährt und auch fleißig ist) schon mit dem einer Bedienung auf dem Oktoberfest vergleichen.
Die Liebe zum Oktoberfest bleibt
Und gehst du heute noch als Gast auf die Wiesn?
Im Endeffekt ist es halt einfach eine riesen Massen-Sauf-Veranstaltung. Aber ich gehe trotzdem noch sehr gerne hin. Ich liebe zum Beispiel den letzten Wiesn Sonntag. Da ist dann nicht mehr soviel los und wenn am Ende dann alle ihre Feuerzeuge (oder Handys) rausholen – so schön! Ich habe auch viele Freunde, die mich mitziehen und es ist jedes Mal ein riesen Spaß. Ich bin auch immer die Erste, die auf den Bänken steht und alle mitreißt! Aber generell reicht mir das an zwei, drei Tagen.
Und dieses Jahr?
Dieses Jahr muss ich öfter gehen, weil meine Freundin aus Norwegen kommt und die sich schon riesig auf die Wiesn freut. Sie war nämlich noch nie dort! Und ich genieße es aber auch so, dass ich nicht mehr Rikscha fahre. Immer wenn ich an der Theresienwiese vorbeikomme, denke ich mir nur: „Ach, ich nicht mehr. Gott sei Dank!“
Oh man jetzt aber raus aus dem Regen, wir sind schon ganz nass!
Wie es sich anfühlt, als Bedienung auf dem Oktoberfest zu arbeiten, kannst du hier nachlesen!
Und die aktuellen Bierpreise gibt’s hier!
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[…] meinem Artikel: Wiesn-Helden: Rikscha-Fahrer auf dem Oktoberfest geht es um einen weiteren spannenden Job auf dem größten Volksfest der […]