Der tägliche Wahnsinn einer Wiesnkellnerin

von Julia Beckert

Um den Oktoberfest-Trubel kommt niemand herum

Wenn das Oktoberfest näher rückt, wird keine Gelegenheit ausgelassen, die ganze Welt in den Wiesnwahnsinn zu treiben! Egal wie klein dein Interesse ist – du wirst es mitbekommen. Definitiv. Ob du dich mitreißen lässt, oder dich vorsorglich in deinen vier Wänden verkriechst, bleibt dir überlassen. Fakt ist, um den Wiesntrubel kommst du auch so nicht herum. Egal ob TV-Spot, der deutschlandweit die Frauenwelt auf ein extra zopftaugliches Shampoo aufmerksam macht, oder bayerische „Schmankerl“ bei der Fastfood Kette um die Ecke.

O’zapft wird überall. Wenn du Münchner bist, hast du die verschiedensten Möglichkeiten, ein Stück von dem millionenschweren Wahnsinn abzubekommen. Viele Menschen vermieten für ein üppiges Sümmchen ihre Wohnung, melden sich als Rikscha Fahrer oder verdienen sich als Kellner eine mehr oder weniger goldene Nase. Andere wiederum geben sich hemmungslos dem wilden Treiben hin und landen wenn’s blöd läuft auf dem berühmten „Kotzhügel“ neben betrunkenen Touristen, die das besonders starke Wiesnbier völlig unterschätzt haben.

Die Wiesn liegt mir im Blut

Um ehrlich zu sein, habe ich den Wiesnwahnsinn die ersten paar Jahre genauso genossen, wie manch Australier, der einen Großteil seines Gehalts nur dafür spart, um es auf dem Oktoberfest wieder loszuwerden. Es gab Zeiten, da war ich selbst etwa jeden zweiten Tag auf dem größten Volksfest der Welt. Natürlich hat es mir Spaß gemacht und von der Wiesnstimmung habe ich mich schon immer gerne mitreißen lassen. Wenn man meine Eltern fragen würde, welche Musik ich als Kind gehört habe, würden sie wahrscheinlich lachen und sich daran erinnern, wie ich ständig darauf bestanden habe, dass Blasmusik im Auto läuft. Kein Scherz! Der ganze Wiesnwahnsinn lag mir wahrscheinlich schon als Kind im Blut.

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Wie alles begann

Wie es dann dazu gekommen ist, dass ich plötzlich nicht mehr zum Feiern, sondern zum Arbeiten aufs Oktoberfest gegangen bin, kann ich ehrlich gesagt gar nicht mehr sagen. Irgendwann muss ich wohl aufgeschnappt haben, was so eine Bedienung im Bierzelt verdient. Als Studentin konnte ich das Geld natürlich gut gebrauchen und so war es für mich keine Frage mehr ob ich mich als Kellnerin bewerbe, sondern wo.

Mit viel Glück bin ich schließlich in einem der kleineren Zelte gelandet. Weil eine andere Wiesnkellnerin einen Tag vor dem Anstich die Treppe runtergefallen ist, wurde ich vom Commis zur Kellnerin befördert und war von Anfang an bei den „Großen“ dabei. Dass mir das am Ende fast das dreifache Gehalt beschert hat konnte ich da noch gar nicht wissen. Denn eines machen Wiesnkellner nicht: Übers Geld sprechen!

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Weil damals alles so spontan und ungeplant gelaufen ist, war ich denkbar schlecht vorbereitet. Ich musste mir meine komplette Ausrüstung (Medikamente, Wechselgeld, Geldbeutel etc.) noch am selben Abend besorgen, an dem ich die Zusage erhalten hatte. Diese bekam ich allerdings um 19:30 Uhr und so musste ich alle anwesenden Freunde mobilisieren, die fehlenden Sachen zu besorgen. Eine halbe Stunde später hatten wir tatsächlich alles beisammen und plötzlich war da nur noch eine Sache: Die Aufregung!

Und auf einmal geht der ganze Wahnsinn los

Nach mittlerweile drei Jahren als Bedienung auf dem Oktoberfest kann ich sagen, dass die Sache mit der Aufregung wahrscheinlich nie verfliegen wird. Selbst die „alten Hasen“, die schon seit etwa zwanzig Jahren auf dem Oktoberfest bedienen, sind jedes Jahr aufs Neue richtig aufgeregt. Der Schlaf, der in der Nacht vor dem ersten Wiesntag so wichtig wäre, kommt definitiv zu kurz. Der ganze Körper und Geist bereiten sich auf Hochtouren auf das vor, was einen die nächsten sechzehn Tage erwartet: Schwerstarbeit für Körper und Nerven! Irgendwann klingelt der Wecker und dann heißt es nur noch eins: Frühstücken, Dirndl anziehen und mit klopfendem Herzen ab ins Festzelt.

Egal wie knapp die Zeit am Morgen scheint, ein ordentliches Frühstück ist ein Muss!

Egal wie knapp die Zeit am Morgen scheint, ein ordentliches Frühstück ist ein Muss!

Irgendwann ist es soweit und die Türen öffnen sich. Was dann passiert, sorgt bei mir jedes Jahr aufs Neue für Gänsehaut pur: Innerhalb von wenigen Minuten füllen sich die Bänke und der Lärmpegel steigt von einer Minute auf die andere aufs gefühlte Tausendfache an.

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Stimmung, Gänsehaut und Adrenalin

Wie Wahnsinnige stürmen die Menschen auf die Bierbänke zu, um einen der begehrten Plätze zu ergattern. Viele von ihnen haben bereits seit den frühen Morgenstunden vor dem Zelt gewartet, um ganz vorne in der Schlange zu stehen. Kurze Zeit später gehen die großen, schweren Türen wieder zu, denn das Zelt ist „wegen Überfüllung geschlossen“. Wahnsinn! Da gibt es noch nicht mal Bier und die Leute toben schon wie wild und immer wieder kocht die Stimmung über. Jemand stimmt ein Lied an und lawinenartig fängt das ganze Zelt an mit zu grölen. Die ersten Stunden gibt es nur alkoholfreie Getränke. Denn O’zapft ist’s erst dann, wenn der Oberbürgermeister mit ein, zwei, drei, vier, vielen Schlägen das allererste Holzfass angezapft hat.

Spätestens wenn es heißt „O’zapft is“, steigt auch bei jeder noch so erfahrenen Bedienung der Adrenalinspiegel und vor den Schänken bilden sich lange Schlangen. Dann ist es soweit: Der erste Kellner, bepackt mit vierzehn Maßkrügen, läuft zu seinen Tischen. Die Menschenmassen rasten aus. Gegröle, Jubeln, Schreie. Überall. An das Gewicht der Maßkrüge denkt da keiner mehr. Der Kopf arbeitet auf Hochtouren. Adrenalin schießt durch den Körper und plötzlich ist man am ersten Tisch und muss aufpassen, dass die gierigen Feierwütigen einem nicht das Bier aus der Hand reißen. Na dann, lasset den Wahnsinn beginnen!

So geht es dann weiter. Sechzehn Tage am Stück von Früh bis Spät.

Seit zwei Jahren bediene ich mit meinem Freund in einem der größten Festzelte. Wir sind ein super eingespieltes Team und ich glaube, ohne ihn würde ich mir das alles gar nicht mehr zutrauen.

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Teamarbeit und Spaß, der nie zu kurz kommt

Während ich die Gäste mit Bier versorge, schleppt mein Freund auf einem riesigen Tablett (dem sogenannten „Schlitten“) eine riesen Anzahl Teller durch das Zelt. Jedes Mal wenn ich ihn so schwer beladen sehe, bleibt mir fast das Herz stehen. Würde das alles runterfallen…man will sich den Wert des Essens gar nicht ausrechnen, der da auf so einem Schlitten gestapelt liegt! Bisher ist das zum Glück noch nicht passiert und das einzige was es hinsichtlich Essens-Verluste zu erzählen gibt ist sogar ziemlich witzig.

Wiesn-Gschichtn, die man nie vergisst

Als sich mein Freund mal wieder schwer beladen durch die Gänge quetschen musste, kam irgendein besoffener Voll**** auf die tolle Idee sich – wo sonst – an seinem Schlitten, den er mit einer Hand balancierte festzuhalten. Zum Glück ist nichts passiert und als mein Freund schon wieder weitergelaufen ist, hörte man plötzlich einen Mann rufen „Heee do is a Knedl in meiner Maß!“. Ohne weiter darüber nachzudenken servierte er den Gästen das Essen und „Oh Schreck“, da fehlte doch glatt ein Knödel! Auf dem Rückweg sah er einen Mann der sein Bier mit Knödelbeilage trank und wir beide mussten herzhaft lachen.

Doch auch beim Bier schleppen wird einem nie langweilig! Einmal bin ich mit zehn Maß den vollen Gang entlanggelaufen und hatte die Krüge wohl irgendwie schlecht gehalten. Aus Angst, die Maßkrüge könnten mir runterfallen, beschleunigte ich also mein Tempo und kurz vorm Ziel streckte ein Gast sein Bein aus und blockierte damit den halben Gang. Natürlich ist der Blick nach unten bei so vielen Maßkrügen sehr eingeschränkt und so stolperte ich mit der ganzen Ladung Bier über sein Bein. „Mist, jetzt bloß nichts fallen lassen! Die 110 Euro Wert darf ich einfach nicht verlieren“, dachte ich und versuchte irgendwie auf den Knien zu landen und dabei bloß an das Bier zu denken. Ich konnte es nicht glauben, aber es ist nicht mal eine Maß verloren gegangen! Der einzige Schaden war ein aufgeschürftes Knie, aber das ist einem in dem Fall natürlich lieber, als zehn Maßkrüge aus eigener Tasche bezahlen zu müssen.

Es gibt wahrscheinlich unzählige Geschichten, die ich aus drei Jahren Wiesnerfahrung mit euch teilen könnte. Besonders die Italiener-Wochenenden sorgen immer für einigen Gesprächsstoff.

Die Wiesn und ich – Hass oder Liebe?

Im Grunde genommen gibt es schöne und weniger schöne Tage. Mal kann man die Musik nicht ertragen, mal ist man voller Motivation und könnte nach Feierabend noch Bäume ausreißen. Der Wiesnwahnsinn hat seine guten und schlechten Seiten und sie gehören alle dazu wie das Bier eben aufs Oktoberfest.

Spaß darf bei der Arbeit auch nie fehlen!

Spaß darf bei der Arbeit auch nie fehlen!

Ein vertrautes Gesicht macht alles erträglicher

Es gibt immer wieder Gäste, die einem die Arbeit erträglich machen, mit denen man mitgrölt, lacht und feiert, als wären sie schon immer Freunde gewesen. Solche Gäste bekommen dann auch immer gerne die nächsten Tage einen Tisch. Denn eines ist sicherlich DAS Erfolgsrezept, wenn es ums „Überleben“ auf dem Oktoberfest geht: Die Auswahl der Gäste!

Wenn es irgendwie möglich ist, schauen wir, dass wir jeden Tag mindestens einen Tisch mit Bekannten Gesichtern oder Freunden besetzen.  Es gibt nichts, das einen mehr aufmuntert, als das Lächeln eines guten Freundes, der einen Mal an seiner Maß nippen lässt und für gute Laune sorgt. Nach und nach kommen zu den Freunden die ersten Stammgäste hinzu, die mit großer Gewissheit auch angenehmer als ein besoffener Haufen Italiener sind ;-). Natürlich müssen die genauso früh da sein wie alle anderen, denn freihalten darf man die Bänke natürlich nicht. Den Dreh hat man irgendwann raus und mit guten Gästen macht die Arbeit auf dem Oktoberfest sogar richtig großen Spaß!

Der Kopf hat nie Feierabend

Was mich am meisten fertig macht, ist jedes Jahr der Schlafmangel! Bis man zu Hause ist, ist es meistens zwölf Uhr und dann muss noch das Dirndl gewaschen, geduscht und eine Kleinigkeit gegessen werden. Spätestens beim Haare föhnen dröhnt die Blasmusik durch meinen Kopf und ich bilde mir die Stimmen, die mich den ganzen Tag von allen Seiten erreicht haben, ein.

Die Arbeit hört nie auf! Ich liege im Bett, schließe die Augen und schleppe weiterhin Bier durch die überfüllten Gänge, kriege Platzangst, die Blasmusik rauscht im Hintergrund und irgendeiner meint sich beschweren zu müssen, dass er zu lange auf sein Bier warten mussten. Zwei Maß auf der zwei, fünf Maß und drei Radler auf die vier und der auf Tisch eins bestellt noch ein Wiesnhendl. So geht es die ganze Nacht. Plötzlich rüttelt mein Freund an meinem Arm und sagt mir, ich müsse aufstehen. „Warte, ich muss nur noch das Bier rausbringen“ murmle ich und drehe mich auf die andere Seite. Ich arbeite durch, selbst wenn ich nicht arbeite und das ist viel anstrengender als die Arbeit selbst. Der Kopf kommt nicht zur Ruhe und das Einzige, was einen da noch motivieren kann, jeden Tag aufs Neue aufzustehen, ist der Blick in den immer voller werdenden Geldbeutel.

Glücksgefühle und ein Meer aus Lichtern

Das Oktoberfest endet jedes Jahr mit einer Rede der Wirtsleute, Wunderkerzen und Musik. Spätestens dann stehe ich mit einer kühlen Maß auf dem Tisch und bestaune das Lichtermeer. Da ist sie wieder: Die Gänsehaut! Ich schaue zurück auf sechzehn aufregende Tage und bin einfach nur stolz! Wieder ist es geschafft und plötzlich ist alles vorbei! Ich denke an die lustigen Momente und die schweren Stunden und ein Glücksgefühl durchströmt den ganzen Körper. Nie hätte ich von mir gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin.

Plötzlich ist der ganze Rummel vorbei, das Licht geht an und während die letzten Gäste das Zelt verlassen, beginnen bereits die ersten Abbauarbeiten. Später trifft man sich im Wirtshaus zum Feiern und lässt die ganze Last der letzten Wochen von sich fallen.

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Plötzlich sind die Bänke weg und nur noch der Müll erinnert an das wilde Treiben der letzten Wochen.

Wie jedes Jahr bedeutet das Ende der Wiesnzeit für mich und meinen Freund den Startschuss für unseren Urlaub! Den braucht man danach auch, sonst kommt man Monate lang nicht runter und trägt die Folgen viel zu lange mit sich mit. Doch nach einer Woche extremer Entspannung juckt es mich bereits wieder in den Fingern und für mich könnte es schon wieder heißen „O’zapft is!“.

Weitere Wiesngschichten:

Wie bereite ich mich auf den Wiesn-Wahnsinn vor? Hier erfahrt ihr es!

Wiesn-Heldin: Als Rikschafahrerin durch das nächtliche Gewusel.

Ganz wichtig: Die diesjährigen Bierpreise.

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6 Kommentare

VidaFreunds 9. Februar 2017 - 23:31

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Wiesn-Helden: Rikscha-Fahrer auf dem Oktoberfest 15. August 2016 - 10:30

[…] es sich anfühlt, als Bedienung auf dem Oktoberfest zu arbeiten, kannst du hier […]

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Eine Liebeserklärung an die schöne Stadt München 19. Juli 2016 - 20:53

[…] an Kultur bietet München mehr als das „Synonym“ für bayerische Klischees, dem Oktoberfest. Erst letztes Wochenende habe ich einen wunderbaren Nachmittag und Abend mit meinen […]

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Der Countdown läuft! Die Bierpreise vom Oktoberfest sind da! 18. Juni 2016 - 15:45

[…] wissen will, wie es sich anfühlt, auf dem Oktoberfest zu arbeiten, sollte sich diesen Beitrag nicht entgehen lassen […]

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Traumurlaub mit Wohlfühlgarantie auf Santorini 25. März 2016 - 21:22

[…] absolutes Kontrastprogramm zum Oktoberfest 2015 war unser anschließender Erholungsurlaub auf Santorini. Während die anderen Bedienungen noch […]

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Hotel Hubertus Lust auf Leben in Balderschwang 18. März 2016 - 23:57

[…] für mich nicht. Schon zwei Mal haben mein Freund und ich dort unseren Entspannungsurlaub nach dem Oktoberfest verbracht und schnell haben wir uns in das Haus und die Menschen dort […]

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